Walter Orlov
 

 

"Abgekupfert"

 

Das Äquivalenzprinzip von Einstein sieht Newtons sechstem Zusatz verblüffend ähnlich. Um darauf zu kommen, reicht es einfach zu vergleichen.

Newton: "Zusatz 6. Wenn Körper sich unter einander auf irgend eine Weise bewegen, und gleiche beschleunigende Kräfte nach parallelen Richtungen auf sie einwirken; so fahren alle fort, sich auf dieselbe Weise unter einander zu bewegen, als wenn sie nicht durch jene Kräfte angetrieben würden. Jene Kräfte werden nämlich, indem sie gleich stark (nach Verhältnis der Grösse der zu bewegenden Körper) und nach parallelen Richtungen wirken, alle Körper (was die Geschwindigkeit betrifft) nach dem 2. Gesetz gleich fortbewegen, und daher nie die Bewegung und Lage unter einander ändern."
Einstein: "Dann stieß ich auf den glücklichsten Gedanken meines Lebens... Für einen Beobachter, der sich im freien Fall vom Dach eines Hauses befindet, existiert – zumindest in seiner unmittelbaren Umgebung – kein Gravitationsfeld. Wenn nämlich der fallende Beobachter einige andere Körper fallen läßt, dann befinden sie sich im Bezug auf ihn im Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung, unabhängig von ihrer chemischen oder physikalischen Natur. Der Beobachter hat das Recht, seinen Zustand als 'in Ruhe' zu interpretieren."

Offensichtlich spielt die Gravitation im Einsteins Prinzip die Rolle von „gleichen beschleunigenden Kräften“, somit ist dieses ein Sonderfall Newtons Folgerung. Bewusst oder unbewusst erinnerte Einstein sich also an Newtons Zusatz 6 und machte daraus den Grundstein neuer – Allgemeiner – Relativitätstheorie.

 

und falsch erweitert

 

Das Äquivalenzprinzip schien hilfreich zu sein, um auch die Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne auf dem alternativen Wege herzuleiten, als es Soldner vor über 200 Jahren vor ihm tat. Einsteins Idee war folgende: Schickt man in einem beschleunigten Weltraumlabor, z.B. in einer Rakete, den Lichtstrahl senkrecht zur Beschleunigungsrichtung, würde er zum Boden abgelenkt (Abbildung unten, links). Da nach Äquivalenzprinzip Beschleunigung und Gravitationsbeschleunigung vertauschbar sind, ist derselbe Vorgang im ruhenden Erdlabor zu erwarten (Abbildung unten, rechts).

Bild aus "Clocks and the Equivalence Principle"

Grob darf all das zwar stimmen, aber exakt…

Weil der Lichtstrahl in die Rakete vom Außen eindringt, führen wir noch einen zweiten Beobachter, der diesen Lichtstrahl steuert, d.h. einschaltet oder ausschaltet. Offensichtlich gehört der Lichtstrahl zum Bezugssystem dieses Beobachters, für ihn bewegt sich der Lichtstrahl dementsprechend streng geradlinig und horizontal. Um die Anfangsgeschwindigkeit außer Acht zu lassen, betrachten wir nur den Beginn des Experiments, also nur den ersten Augenblick gleich nach der Zündung der Triebwerke. 

B sei der Durchmesser der Rakete, dann t = B/c ist die Zeit, die ein Lichtimpuls braucht, die Rakete durchzuqueren. Für den Beobachter innerhalb der Rakete zeichnet der Lichtstrahl einen Bogen (da die Rakete beschleunigt wird) und verlässt das Raumlabor um die Höhe s = at2/2 = a(B/c)2/2 (a = g) tiefer als beim Eintritt. Die Besonderheit der Situation hier ist es, dass sich der Lichtstrahl frei bewegt. Nach Definition gibt es im weiten Weltraum keine Wechselwirkungen und unter anderem zwischen Lichtstrahl und der Rakete, also die Beschleunigung der Raketenhülle hat überhaupt keinen Einfluss auf Bewegung des Lichtstrahls.

Ganz anders sieht es im Erdlabor aus. Im Unterschied zum Versuch im Weltraum wird der Lichtstrahl hier in jedem Punkt des Raumes mit dem Gravitationsfeld der Erde wechselwirken und dementsprechend seine Fahrrichtung ständig ändern (nächste Abbildung). Dadurch verlängert sich der Weg, den er innerhalb der Rakete durchlaufen muss. In dem Fall handelt es sich also nicht um die scheinbare Verbiegung des Lichtstrahles aus der Sicht des Reisenden in beschleunigter Rakete, sondern um reale Lichtablenkung, die zwangsläufig zur Verlängerung der Laufstrecke führt.

So einfach wie im Weltraumlabor gemacht haben lassen sich hier Laufzeit und Austrittsstelle nicht mehr bestimmen. Deshalb machen wir erst eine Abschätzung. Wir gehen davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit im Gravitationsfeld der Erde konstant bleibt (experimentelle Tatsache). Horizontale Komponente cx der Geschwindigkeit des Lichtstrahles gleicht beim Eintritt in die Rakete der Vakuumlichtgeschwindigkeit c. Beim Austritt wird sie durch gewachsene vertikale Komponente cy jedoch gemindert:

wobei t' ist die Laufzeit des Lichtstrahles im Erdlabor. Daher ist die mittlere horizontale Geschwindigkeit:

t' ist unbekannt, aber unter realer Annahme, dass die Verzögerung sehr klein sei, können wir grob setzen: t' ≈ t = B/c. Somit

Der Rest der Rechnung:

Nach Ausklammern und Verzicht auf vierte Potenz bekommen wir, dass beim Austritt die Verschiebung des Lichtstrahles im Erdlabor um Δs = s·(gt/c)2 tiefer als im Weltraumlabor. Je länge ist die Beobachtungszeit t, umso größer ist der Unterschied. 

Genaue Berechnung können wir z.B. mit Hilfe von FreeMat machen. Für Visualisierung, damit das Auseinanderlaufen der Kurven deutlich sichtbar wird, setzen wir viel größere Beschleunigung als auf Erdoberfläche.

% Lichtablenkung nach Äquivalenzprinzip
c = 2.99792458e+8;
g = 9.81e+15; % Beschleunigung: Erdbeschleunigung mal 10^15
B = 5.4; % Durchmesser der Rakete "Ariane 5"
dt = 1e-11; % Zeitschritt
% Anfangsparameter:
cx = c; cy = 0;
x = 0; y = 0;
k = 1;
% Weg des Lichtstrahles im Weltraum ohne Beschleunigung:
plot(linspace(0, B), zeros(100), 'k--')
axis([0 B -3 1])
title('Lichtablenkung nach Äquivalenzprinzip')
hold on
% Lichtablenkung in beschleunigter Rakete (blaue Kurve):
while x < B
X(k) = x; Y(k) = y; k = k +1;
x = x + cx.*dt; y = y + cy.*dt;
cy = cy - g.*dt;
end
plot(X,Y, 'b')
cx = c; cy = 0;
x = 0; y = 0;
k = 1;
% Lichtablenkung im Gravitationsfeld (rote Kurve):
while x < B
X(k) = x; Y(k) = y; k = k +1;
x = x + cx.*dt; y = y + cy.*dt;
cy = cy - g.*dt;
cx = sqrt(c.*c - cy.*cy);
end
plot(X,Y, 'r')
hold off

 

Einstein hat sein Gedankenexperiment nicht bis zum Ende durchgedacht. Und wenn er doch dies gemacht hätte, gäbe dann vermutlich keine "Allgemeine Relativitätstheorie" und er würde nicht so berühmt... Wie bequem ist es, sich machmal zu irren!

 

Ferner gibt es sogar einen Fall, wo das Äquivalenzprinzip voll fehl am Platz ist. 1918 versuchte Einstein das sogenannte Zwillingsparadoxon endgültig zu beweisen (Dialog über Einwände gegen die Relativitätstheorie). Er griff zur allgemeinen Relativitätstheorie. Er ersetzte die Beschleunigungsphasen des reisenden Zwillings durch das Vorhandensein eines entsprechenden Gravitationspotentials. Im Gravitationsfeld gehen die Uhren langsamer (experimentell bestätigt), somit würde der reisende Zwilling auch langsamer altern. Eine umfangreichen Rechnung kann dies wohl belegen... Nun zeigte 1977 das Experiment mit schnellen Myonen, dass auch extrem starke Beschleunigung keine zusätzliche (zur geschwindigkeitsabhängigen) Verlangsamung der Zeit bedingt (Measurements of relativistic time dilatation for positive and negative muons in a circular orbit). Darüber hinaus ist der Tausch der Beschleunigung durch das Gravitationsfeld völlig unberechtigt. Das Äquivalenzprinzip ist einfach nicht naturgemäß.

 

 

 

  

 

 

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